Für mehr Beteiligung und Transparenz – auch in Ostrach I

Der Landtag von Baden- Württemberg hat am Mittwoch, dem 14. Oktober 2015 das Gesetz zur Änderung kommunalverfassungsrechtlicher Vorschriften verabschiedet. Man kann es natürlich auch einfacher ausdrücken: Der Landtag hat die Gemeindeordnung ergänzt oder novelliert, andere sprechen von „upgedatet“.

Wo liegen die Schwerpunkte der Änderung und was bedeuten sie für die Gemeinde Ostrach?

Die Schwerpunkte liegen in den Bürgerbeteiligungsmöglichkeiten, hier hat sich etwas geändert, und in der Transparenz kommunalen Handelns und kommunaler Entscheidungen, hier hat sich einiges geändert, vor allem für Ostrach.

Für mehr Bürgerbeteiligung

Im Rahmen der Bürgerbeteiligung wird unterschieden zwischen Einwohnern und Bürgern. Einwohner ist, wer älter als 16 Jahre ist und länger als drei Monate in der Gemeinde wohnt; Bürger sind wahlberechtigte Bürger, also deutsche Staatsangehörige und Bürger der EU in der Gemeinde.

Diese Unterscheidung ist deshalb wichtig, weil jetzt die in § 20 a und § 20 b der Gemeindeordnung aufgeführten Partizipationsmöglichkeiten für alle Einwohner der Gemeinde gelten. D. h. der in Ostrach wohnende Schweizer hat jetzt auch die Möglichkeit, eine Einwohnerversammlung (früher Bürgerversammlung) und einen Einwohnerantrag (früher Bürgerantrag) mit zu beantragen.

Wie sieht dies in Ostrach aus?

Der Gemeinderat hat eine Einwohnerversammlung abzuhalten, wenn dies von 5 % der Einwohner beantragt wird. In Ostrach wären dies keine 300 Personen. Ein Einwohnerantrag kann von 3 % beantragt werden. In Ostrach dürften das etwa 180 Personen sein. Anträge, die aus der Einwohnerversammlungen hervorgehen und Einwohneranträge sind plebiszitäre „Leichtgewichte“, sie verpflichten den Gemeinderat zu nichts. Die Vorschläge sollen lediglich behandelt werden.

Vollkommen anders sieht dies bei Bürgerbegehren und Bürgerentscheid aus. Da das Bürgerbegehren sich ja in aller Regel gegen eine Entscheidung des Gemeinderats richtet, kommt es zwangsläufig zu einem Bürgerentscheid, es sei denn, der Gemeinderat schließt sich den Forderungen der Unterzeichner des Begehrens an. Ein erfolgreicher Bürgerentscheid hat die Wirkung eines Gemeinderatsbeschlusses. Soweit hat sich nichts geändert.

Geändert hat sich allerdings das jeweilige Quorum. So sind für ein Bürgerbegehren statt bisher 10 % jetzt nur noch 7 % der Bürger erforderlich. Bei 5 500 Wahlberechtigten in Ostrach wären dies 385 Bürger, die ihre Unterschrift leisten. Ein Bürgerentscheid ist dann erfolgreich, wenn 20 % (vorher 25 %) der gesamten Bürgerschaft mindestens zustimmen. Dies wären in Ostrach 1 100 Stimmen.

Was sich im Rahmen des Bürgerentscheids auch ändert, ist seine Anwendungsmöglichkeit auf sog. verfahrenseinleitende Beschlüsse im Bauleitplanverfahren. [§ 21, (2) Ein Bürgerentscheid findet nicht statt über Bauleitpläne und örtliche Bauvorschriften mit Ausnahme des verfahrenseinleitenden Beschlusses] Was heißt dies wiederum konkret für Ostrach? Theoretisch könnte gegen den Aufstellungsbeschluss „Interkommunales Gewerbegebiet“ des Gemeinderates vom 21. September 2015 ein Bürgerbegehren initiiert werden. Hierzu wären 385 Unterschriften erforderlich. Im Rahmen eines Bürgerentscheides müssten anschließen mindestens 1 100 Ostracher gegen den Aufstellungsbeschluss stimmen.

Was heißt dies praktisch? Es ändert sich für die Ostracher Kommunalpolitik auf dieser Ebene der Partizipation überhaupt nichts. Müsste man doch in Ostrach an zentraler Stelle, mitten ins Dorf, entweder eine Biogasanlage oder ein Kohlekraftwerk bauen. Nur unter diesen Voraussetzungen wäre es denkbar, dass ein Plebiszit erfolgreich sein könnte.

Groß war allerdings der Protest gewisser Parteien und Verbände gegen die Änderung der Gemeindeordnung. Durch die geplante Änderung würde ein Hauptanliegen der repräsentativen Demokratie, nämlich das Wohl der Allgemeinheit vor Partikularinteressen zu stellen, ausgehöhlt, so der Fraktionsvorsitzender der CDU im Landtag Guido Wolf am 28. September 2015 (Homepage der Kommunalpolitische Vereinigung der CDU). Vom Misstrauen gegenüber den Kommunen war von der CDU zu hören (2013 war sie noch für die vorgelegte Änderung). Den Vogel schießt allerdings der Gemeindetag Baden- Württemberg ab, der das Gesetz in allen Punkten ablehnt mit der Begründung, es handle sich um einen Eingriff in die innere Organisationshoheit der Städte und Gemeinden. Müsste es da nicht eher heißen Eingriff in die Hoheit der Bürgermeister? Denn was sich da am 15. 10. in Ditzingen bei der „Kommunalpolitischen Tagung“ dieses Verbandes laut „Schwäbischer Zeitung“ abspielte, ist bezeichnend. Die Mitglieder eines Verbandes, der noch in seiner Stellungnahme zu der Gesetzesänderung sich um die repräsentative Demokratie große Sorgen macht, sind sich nicht zu schade, das Ergebnis eben dieses repräsentativen Verfahrens mit Buhrufen und Pfiffen auf ihrer Tagung zu kommentieren. Der Wolfegger Bürgermeister Peter Müller (CDU) sei mit seinen Vorbehalten exemplarisch zitiert: „Jeder Bürgerentscheid schwächt die Kommune und bringt Unruhe“, so Müller laut Schwäbischer Zeitung. Dies sind die Gedanken eines Duodezfürsten, aber nicht die eines Demokraten!

„Die Demokratie muss keine Angst haben vor den Bürgern. Angst muss die Politik nur dann haben, wenn sie die Bürger für zu dumm hält oder für dumm verkauft – und wenn sie zu bequem ist, Überzeugungsarbeit zu leisten. Es geht nicht um Abstimmungsorgien, nicht um die Abkehr vom repräsentativen Prinzip, sondern nur um seine Ergänzung“, so der Kommentator in der Süddeutsche Zeitung vom 08. 09. 2002.

Das Thema ist, wie man sieht, uralt. Es geht zurück auf Rousseau, es geht um die Diskussion eines Gemeinwohls a priori oder a posteriori, um einen hypothetischen oder empirischen Volkswillen. Der Gemeindetag polemisiert aber und schürt Ängste, wenn er in seiner Stellungnahme zu der Gesetzesänderung folgendes behauptet: „So werden von vielen Einzelnen ihre Partikularinteressen über das Wohl der Allgemeinheit gestellt“. Natürlich weiß der Gemeindetag, was das Wohl der Allgemeinheit ist. Leider stößt auch Bürgermeister Kugler aus Pfullendorf in das gleiche Horn: „„Im Extremfall könnte eine militante Minderheitengruppe so die Entwicklung der Gemeinde torpedieren“, sagt er gegenüber der „Schwäbischen Zeitung“ vom 14. 10. 2015. Noch nie war in Pfullendorf ein Bürgerbegehren erfolgreich. Noch nie kam es zu einem Bürgerentscheid. Knapp scheiterte 1982 (!) das Begehren gegen das Projekt Sport- und Festhalle, weil das notwendige Quorum von damals 15 Prozent nicht erreicht worden war. Die militante Minderheitengruppe war damals vor allem der Ortsverein der SPD!

Für die Gemeinde Ostrach dürfte die Diskussion über die Gemeinwohlfindung keine größere Bedeutung haben. Denn der Ostracher Gemeinderat kann hellseherisch am 21. 09. einstimmig zu Ergebnissen kommen, die er aus dem Gemeindeentwicklungskonzept ableiten müsste, das ihm aber erst am 29. 09. vorlag. Bei so viel Weitsicht braucht man sich um die Realisierung des Gemeinwohls in Ostrach keine Sorgen zu machen.

Über die Transparenz kommunalen Handelns, wie es die geänderte Gemeindeordnung vorsieht, gibt es demnächst in diesem Blog nähere Ausführungen.

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