Coronavirus, Coronavirus, Coronavirus …

25 Meldungen über das Virus in der Spiegel-App allein am Montag, dem 23. 03. 2020. Das reicht von „Zu geringer Abstand an der Kasse – Kunde schlägt mit Besenstiel zu“ über „Wir werden diese Prüfung bestehen. Ein Gastbeitrag von Paul Ziemiak“ bis zu einem Interview mit dem Politikprofessor Münkler, der in einer Tour d‘Horizon alle europäischen Epidemien und Pandemien seit dem Mittelalter anspricht.

„Was wäre, wenn das Virus Cordia hieße und ein Herzensvirus wäre, das augenblicklich die Herzen öffnen könnte und Menschen würden sich verbinden, sich entgrenzen, Türen sich öffnen“, schreibt am Samstag, dem 21. März ein katholischer Diakon in der Schwäbischen Zeitung. Was wäre, wenn das Virus Temperantia hieße, nämlich Besonnenheit und Mäßigung, dann wäre man nicht einer Flut von Meldungen und Meinungen ausgesetzt, von ständigen Wiederholungen, als ob man nicht lesen und hören könne, was die Landesregierung, was Bund und Länder zur Eindämmung des Corona-Virus beschlossen haben. Was wäre, wenn das Virus Concordia hieße, Eintracht und Übereistimmung, dann müsste die Polizei nicht patrouillieren, um Uneinsichtige zu ermahnen, und auch Bürgermeister und Bürgermeisterinnen, Landräte und Landrätinnen müssten nicht der Meinung sein, sie müssten sich ebenfalls ständig an den Bürger wenden, weil der immer noch nicht begriffen hat, was die Stunde geschlagen hat und er gefälligst Kontakte zu meiden hat.

Ja, es regt mich auf, es „nervt“, wenn in einem sogenannten „Wort zum Sonntag“ Folgendes zu lesen ist: „Eine Auszeit für die Erde, Sabbattage für die Erde sind es auch, diese Wochen, damit sie wieder atmen kann, ihren Hals frei kriegt, ihre Lungen belüftet werden und ein wenig Heilung geschehen kann. Könnte es sein, dass nun die Selbstheilungskräfte der Natur wirksam werden? Dann können wir nur hoffen, dass auch die Kräfte der Selbsttranszendenz freigesetzt werden und wir auf ein höheres Niveau kommen in unserem Bewusstsein“. Es ist schon eine seltsame Dialektik, wenn durch das Corona-Virus Heilung für die Erde sich einstellen soll, Kräfte der Selbsttranszendenz freigesetzt werden und unser Bewusstsein auf ein höheres Niveau kommt. Dass die Lungen der Erde sich in einem desolaten Zustand befinden, darauf müsste man einen katholischen Theologen nicht hinweisen, der das apostolische Schreiben des Papstes Querida Amazonia gelesen haben dürfte.
Und da katholische Theologen im Moment offensichtlich gefragt sind, muss auch der Moraltheologe Eberhard Schockenhoff die Frage beantworten, ob die Triage mit dem Grundsatz, dass jedes Leben gleich viel wert ist, überhaupt vereinbar sei. „Es stellt sich nicht die Frage: Ist der eine in geringerem Maße würdig, behandelt zu werden als ein anderer? Sondern jeder sollte behandelt werden. Wenn aber nicht genügend Kapazitäten dafür vorhanden sind und diese sich nicht ausweiten lassen, dann muss man eine Zuteilung vornehmen. Dies geschieht unter der Frage: Wer hat die besten Aussichten? Das heißt: Bei wem können die geringen vorhandenen medizinischen Ressourcen aller Voraussicht nach die beste Wirkung erzielen?“, ist des Moraltheologen Antwort in dem Interview der Schwäbischen Zeitung vom 23. 03. 2020.
Diese Antwort ist runde 2100 Jahre alt. In der Stoa u. a. bei Cicero wird sie so paraphrasiert: „Angenommen aber, es gibt nur ein Brett, aber zwei Schiffbrüchige, und beide sind weise Männer. Soll es jeder von ihnen an sich zu reißen suchen oder soll es einer dem anderen abtreten? Es soll abgetreten werden, aber an den, der eher wert ist, um seiner eigenen Angelegenheiten oder um des Staates willen am Leben zu bleiben. Was aber dann, wenn sie in beiden Punkten gleiche Ansprüche haben? Es wird keinen Streit geben, sondern einer wird dem anderen den Vortritt lassen, wie wenn er durch Losen oder im Fingerspiel verloren hätte“(Brett des Karneades). Die stoische Haltung war schon immer beeindruckend: Es wird keinen Streit geben, sondern einer wird dem anderen den Vortritt lassen. Darauf geht der Moraltheologe nicht ein.
Ich hoffe, dass für uns dieses Gedankenexperiment ein Gedankenexperiment bleiben möge.

Und solange Corona uns plagt, uns im Griff hat, wir aber uns nicht unterkriegen lassen, gilt nach wie vor die Devise unseres Jubilars Hölderlin: Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.
Aus gegebenem Anlass empfehle ich als Corona-Lektüre Boccaccios Dekamerone.
Ich habe wieder einen alten Freund aus dem Bücherregal hervorgeholt, ein Sonderling, den ich sehr schätze: Rousseau. Es sind die Träumereien des einsamen Spaziergängers, Les Rêveries du promeneur solitaire.

Dieser Beitrag wurde unter Uncategorized veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Hier können SIe Ihren Kommentar verfassen

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..